Die Gesellschaft Bonveno wird das neue Flüchtlingswohnheim an der Göttinger Europaallee betreiben. Das teilte die Stadtverwaltung beim Runden Tisch (RT-) Europaallee mit. Die ersten Bewohner sollen ab 1. Juli einziehen – 300 Plätze werden eingerichtet.
Noch sieht es auf dem Gelände zwischen Hagenberg, Holtenser Berg und Holtensen aus wie auf einer Großbaustelle. Erst ein Gebäude ist im Rohbau weitgehend fertiggestellt, ein zweites in Arbeit, fünf dreistöckige Blöcke sollen es werden. 50 Dreizimmer-Wohnungen für jeweils sechs Bewohner will die Stadt an der Europaallee einrichten, so der Koordinator der Flüchtlingshilfen der Stadt, Joachim Sterr. Und vieles werde von Beginn an besser organisiert als in der Startphase der kleineren aber ähnlichen Anlage auf den Zietenterrassen, versicherte Göttingens Sozialdezernent Siegfried Lieske vor etwa 30 Unterstützern des RT-Europaallee. Es werde mehr und größere Gemeinschaftsräume geben, auch einen besseren Betreuungsschlüssel: mit vier Sozialarbeiter-Stellen einschließlich Leitung, einer Erzieherstelle und einem Hausmeister für die 300 Bewohner. Auch bei der Kommunikation mit den ehrenamtlichen Gruppen versprach Lieske nach jüngsten Pannen in anderen Häusern Besserung.
Dass sich mit dem Runden Tisch Europaallee schon während der Bauphase ein Helfernetzwerk formiert, sei enorm hilfreich, ergänzte Bonveno-Koordinatorin Marieke Thüne. Bonveno hoffe für eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge auf viel Unterstützung von außen. „Ihr Ansatz hier ist genau das, was wir uns wünschen“, so Thüne. Denn an erster Stelle aber setze der Betreiber bei der Flüchtlingsbetreuung auf Hilfe zur Selbsthilfe.
Aber auch die Ehrenamtlichen im RT haben Wünsche: Sie fordern konkrete Ansprechpartner in der Stadtverwaltung und bei Bonveno. Und sie wollen so früh wie möglich über Alter, Nationalität und Familienstand erwarteter Flüchtlinge informiert werden, um eine gezielte Unterstützung einzuleiten. Die gemeinnützige Bonveno Göttingen GmbH betreut bereits Flüchtlinge im ehemaligen Gebäude der Voigtschule und in einer Unterkunft an der Breslauer Straße, zudem betreibt sie Wohnheime auf den Zietenterrassen und am Nonnenstieg. Gesellschafter sind die Wohlfahrtsverbände AWO, Caritas, Diakonie, DRK und Pari.
208 Plätze für 3,2 Millionen Euro
In knapp zwei Wochen sollen die ersten Menschen in die neue Flüchtlingsunterkunft am Schützenanger direkt an der Sparkassen-Arena am Schützenplatz einziehen. Dort entstehen seit Anfang März Wohnungen für rund 200 Flüchtlinge.
Die ersten Bewohner werden nach jetzigem Stand rund zehn Personen sein, die in dieser Woche die Unterkunft in der Großen Breite in Weende verlassen mussten und seitdem in der Unterkunft auf der Groner Siekhöhe leben. Die neue Unterkunft am Schützenanger bietet 208 Plätze. Gebaut werden 26 Wohneinheiten in Modulbauweise mit je zwei Wohnungen, die je vier Personen Platz bieten. Nach Auskunft von Verwaltungssprecher Detlef Johannson soll die Unterkunft Ende Juni komplett fertiggestellt sein. Die Kosten beziffert die Verwaltung mit 3,2 Millionen Euro.
„Wir wollen dort Flüchtlingsfamilien und Geflüchtete unterbringen, die in der Lage sind, sich ohne stationäre Betreuung in ihren Wohnungen selbst zu versorgen“, sagt Johannson. Die ambulante Betreuung erfolge durch städtische Sozialarbeiterinnen.
Doppelter Zynismus: Kritik an Kritikern
Vertreter aus den Flüchtlingsinitiativen Weende, Hagenweg, Voigtschule, IWF und OM10 haben ihre Kritik an den Umsiedlungen der Flüchtlinge aus den Unterkünften Großen Breite und Hagenweg in die Unterkunft auf der Siekhöhe erneuert. Dies geschehe gegen den Willen der Flüchtlinge, verschlechtere deren Lebensbedingungen und führe zu einem Verlust von Privatsphäre. Im Fall der Unterkunft des Hagenwegs, die nach Verwaltungsplänen für alleinreisende, geflüchtete, von Gewalt bedrohte Frauen vorgehalten werden soll, würden Interessen zweier Flüchtlingsgruppen „plakativ“ gegeneinander ausgespielt, so die Kritiker. Das sei „zynisch“.
Zynismus werfen die Ratsfraktionen von SPD und Grünen nun auch den Vertretern der Flüchtlingsinitiativen selbst vor. „Es ist an Zynismus nicht zu überbieten, einer von Gewalt betroffenen Frau zu sagen, sie muss noch weitere Monate diesen unhaltbaren Zustand ertragen, nur weil die Initiativen zur Unterstützung von Geflüchteten glauben, dass es die Bewohnern in ihrer derzeitigen Unterkunft schöner finden als in einer Gemeinschaftseinrichtung“, teilen die Frationsvorsitzenden Rolf Becker (Grüne) und Frank-Peter Arndt (SPD) in einer Erklärung mit. Ihre Pflicht sei es, „Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten und sie vor Gewalt zu schützen“. „Erst wenn dieses sichergestellt ist, können wir über individuelle Vorlieben für bestimmte Unterkünfte sprechen.“
Quelle: Artikel im Göttinger Tageblatt vom 03.06.2016 Link zum Original-Artikel vom 03.06.2016