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Henning Scherf im Lager Friedland: Rund 100 Zuhörer wollten am Dienstag hören, was der ehemalige Bremer Bürgermeister zum Thema Sterben, Tod und Sterbebegleitung zu sagen hatte.

(Friedland) Eigentlich hätte Henning Scherf aus seinem Buch „Das letzte Tabu. Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen“ lesen sollen, das er mit Annelie Keil geschrieben hat. Stattdessen suchte der ehemalige SPD-Bürgermeister von Bremen das Gespräch mit den knapp 100 Zuhörern, die ins Grenzdurchgangslager Friedlandgekommen waren. „Ich bin spitz auf Austausch“, sagte Scherf. Noch bevor die Veranstaltung losging, ging der groß gewachsene Scherf durch die Stuhlreihen, begrüßte die Gäste mit Handschlag und kam so schon in kurze Plauderei mit ihnen. Im Anschluss entspann sich ein Abend, der die Themen Tod, den Umgang damit, die Hospizbewegung, Kriegserfahrungen, seine Senioren-Wohngemeinschaft und die aktuelle Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland streifte.

„Im Umgang mit dem Tod dürfen wir nicht ratlos, panisch oder kopflos sein“, mahnte Scherf. Der Mensch müsse sie „Erfahrung der Endlichkeit“ des Lebens als Aufwertung des Lebens begreifen. „Eben weil es begrenzt“, sagte der 80-jährige Scherf.

Schon früh in seiner Kindheit sei er mit dem Tod konfrontiert worden, berichtete Scherf. Nach Bombennächten in seiner Heimatstadt Bremenseien Tote aus den Bunkern geborgen worden – darunter auch Kinder. „Das hätten wir sein können“, hätten er und seine Brüder sich stets vor Augen gehalten. Als 17-Jähriger dann habe ein alkoholkranker, befreundeter Rechtsanwalt ihm sein Leben geschildert. „Er hat mir sein Leben aufgeschultert“, sagte Scherf. Das sei eine „Riesenerfahrung“ gewesen. Er habe beschlossen, diese weiterzugeben. Ebenso bewegend sei der Tod eines Freundes gewesen. Der Physikprofessor habe seine Familie an seinem Sterbebett versammelt und habe den Kopf in die Hand seiner Tochter gelegt. „Sie hat den Vater in der Hand beim Sterben begleitet. Dann ist er eingeschlafen.“ Am nächsten Morgen war er tot.

„Wir lassen euch nicht alleine.“

Mit diesen Erfahrungen im Rücken appellierte Scherf an die Zuhörer, „so nah wie möglich“ an die Sterbenden heranzugehen, um ihnen zu zeigen: „Wir lassen euch nicht alleine. Ihr könnt euch auf uns verlassen.“ Es sei sinnvoll, „dass wir bis zum Ende beieinanderbleiben“, sagte Scherf. Das funktioniere auch in der Senioren-Wohngemeinschaft, in der Scherf seit mehr als 30 Jahren wohnt. Seit dem seien dort drei Menschen beim Sterben begleitet worden. Auch sprach er sich etwa dafür aus, Kinder an Trauerfeiern zu beteiligen, und erzählte von einem Fall, bei dem die Kinder den Sarg hätten bemalen dürfen.

Mit Keil sei er in der Hospizbewegung aktiv, sagte Scherf. Die Hospizarbeiter, die Tag für Tag Menschen auf ihrem letzten Weg begleiteten, seien die wahren „Helden“, die in den Schlagzeilen auftauchen sollten. Ein Pauschalrezept, wie mit dem Tod umzugehen sei, hat aber auch Scherf nicht zu bieten. Dazu sei das System zu komplex. Er wolle aber Ängste nehmen – durch Erfahrung, Gespräche und Begegnungen.

„Brutale Flüchtlingspolitik“

Nicht jede Erwartung an den Abend erfüllte Scherf mit seiner lockeren Plauderei und Dialog mit dem Publikum. Einige im Publikum hätten gewünscht, Scherf hätte mehr aus dem Buch gelesen. Diesem Wunsch kam er am Ende dann doch nach. Er las aus dem Buch „Das letzte Tabu“, das als Dialogbuch zwischen ihm und seiner Co-Autorin Annelie Keil angelegt ist. Darin schildern die beiden etwa auch ihren Umgang mit den im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen und die „brutale Flüchtlingspolitik“.

Zuvor hatte Scherf aufgefordert, gegen Hetze gegen Flüchtlingen „den Mund aufzumachen“. Man dürfe sich nicht gegeneinander aufhetzen lassen. Die Menschen dürften nicht resignativ mit der aktuellen Migration umgehen. „Wir sind ein Land voller Flüchtlingsgeschichte. Und das seit Jahrhunderten. Das müssen wir weitergeben“, sagte Scherf. So hätten die Ostflüchtlinge, die auch über das Lager Friedlandnach Westdeutschland gelangten, entscheidend dazu beigetragen, das Land wieder aufzubauen. „Zu einem Sehnsuchtsort“, der heute dafür sorge, das viele Menschen nach Deutschland kommen wollen.

Veranstaltung im Museum Friedland mit Keil im Mai

Scherfs Co-Autorin Keil hätte am Dienstag mit Scherf die Veranstaltung des Museums Friedland bestreiten sollen. Wegen eines „Terminsalats“, den sie selbst produziert hätte, so Scherf, war Keil aber verhindert. Mit ihr ist nun am 14. Mai eine Veranstaltung geplant, in der Keil darüber sprechen will, wie Friedland ihr Leben geprägt hat.

Von Michael Brakemeier

(Quelle: Göttinger Tageblatt vom 13.03.2019, Originalartikel unter folgendem Link: Henning Scherf im Lager Friedland )