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Göttingen. Flucht und Migration, Heimat und Identität, Religionszugehörigkeit und Ausgrenzung, Vereinnahmung und Integration: Diese Themen greift das Göttinger Freie Theater „Boat People Projekt“ in seinen Produktionen auf. Das Besondere: Schon seit 2009, also lange vor der großen Flüchtlingswelle, arbeiten die Künstler an Produktionen.

„Die Auszeichnung ist eine sehr schöne Anerkennung für die Arbeit der vergangenen Jahre. Wir haben ja jetzt nicht plötzlich angefangen, Flucht und Migration zu thematisieren“, sagt  Autorin und Regisseurin Luise Rist. Die 1500 Euro Preisgeld haben die Boat People schon investiert: In die Wände ihres kleinen Theaterraums im ehemaligen Institut für den wissenschaftlichen Film (IWF) am Nonnenstieg, die nun schwarz gestrichen sind. Das Gebäude wird gleichzeitig als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Tür an Tür zum Theater steht den Geflüchteten im IWF die Workshop-Reihe „Come closer“ offen.

Das „Boat People Projekt“ arbeitet in unterschiedlichen Konstellationen in den Bereichen Schauspiel, Tanz, Musik und Video. „Viele Künstler haben ausländische Wurzeln“, betont Rist. Der Jugendgruppe „Junges Boat People Projekt“ gehören sieben Flüchtlinge und mehrere Göttinger an. Sie führt im April das Song-Projekt „Flutlicht“ auf. „Außerdem planen wir schon das Konzept für unser nächstes Stück“, so Rist.

Ein Konzept gegen Neonazis haben sich Birgit und Horst Lohmeyer überlegt. Das Ehepaar lebt in Jamel in Mecklenburg-Vorpommern. Das 35-Seelen-Dorf hat bundesweit zweifelhafte Berühmtheit erlangt, da es von Rechtsradikalen als „nationalsozialistisches Musterdorf“ besiedelt worden ist. „80 Prozent der Einwohner sind Nazis“, berichtet Birgit Lohmeyer.

Ursprünglich sei es ein mutmaßlicher Neonazi gewesen, der leere Häuser in Jamel gekauft  habe und inzwischen an Gleichgesinnte vermiete. „Das wollen wir mit unserem Dorf aber nicht geschehen lassen“, unterstreicht Birgit Lohmeyer. Daher organisiert sie gemeinsam mit ihrem Mann seit 2007 jährlich das zweitägige Open-Air-Festival „Jamel rockt den Förster“ unter dem Motto „Rockmusik für Demokratie und Toleranz“. „Wir möchten so viele Menschen wie möglich nach Jamel locken.“ Im vergangenen Jahr waren es immerhin 1200, die unter anderem den Auftritt der Toten Hosen bejubelten.

Aufgrund ihres Engagements werden die Lohmeyers oft angefeindet. Im August 2015 brannte ihre Scheune nieder, die Polizei geht von politisch motivierter Brandstiftung aus. „Es ist eine fiese Situation. Deshalb ist der Preis ganz wichtig und eine große Ehre und Motivation für uns“, sagt Birgit Lohmeyer. Das Preisgeld soll ins Budget des diesjährigen Rock-Festivals fließen.

Preisträger bei Telefonkonferenz ermittelt

 

„Gemeinsam“, antwortet Ernst Kuper auf die Frage, wie die Jurymitglieder den Träger des Göttinger Friedenspreises ermitteln. Seit der Premiere 1999 wird der Gewinner von einem Trio ausgerufen. Dem gehören neben Politikwissenschaftler Kuper der Jury-Vorsitzende und Friedensforscher Wolfgang Vogt sowie der Journalist Andreas Zumach, Friedenspreisträger von 2009, an. Zumach ersetzte 2014 die aus eigenen Wunsch ausgeschiedene Corinna Hauswedell in diesem Gremium.

Für den Preis vorgeschlagen werden kann jede Person und Organisation. Sämtliche Kandidaten haben sich jedoch einer strengen Prüfung der Jury zu unterziehen. „Der Stifter hat uns eine Liste von Gesichtspunkten vorgegeben, die erfüllt werden müssen“, erklärt Kuper. Zunächst trifft jedes Jury-Mitglied eine engere Auswahl. „In einer Telefonkonferenz“, so Kuper, fällt anschließend die Entscheidung. Bei der Wahl werden gelegentlich Nominierte aus den Vorjahren berücksichtigt, häufig wird nach aktuellen politischen Entwicklungen entschieden. „Das schlägt sich auch in der diesjährigen Wahl nieder. Die Schaffung eines Bürgerbewusstseins und die Gegenwehr gegen friedensgefährdende rechte Einflüsse waren wichtige Kriterien“, sagt Kuper.

Der in Vechta geborene und heute in Oldenburg lebende Politikwissenschaftler lehrte viele Jahre an der Universität Göttingen. Jury-Vorsitzender Vogt war leitender Wissenschaftlicher Direktor im Zivilen Fachbereich Sozialwissenschaften an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Zumach ist Korrespondent für Printmedien am europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf und hat sich durch sein Engagement in Dritte-Welt-Gruppen einen Namen gemacht.Vorjahrespreisträgerin Irmela Mensah-Schramm : Seit 29 Jahren hat sich die 71-Jährige dem Entfernen von rechten, antisemitischen, schwulenfeindlichen und rassistischen Schmierereien und Aufklebern verschrieben. Fast 100 000 davon hat sie in dieser Zeit nach eigenen Angaben entfernt. Seit Mitte der 1990er-Jahre zeigt sie außerdem ihre Wanderausstellung „Hass vernichtet“ in ganz Deutschland. Inhalt der Ausstellung ist eine Auswahl von Bildern der Schmierereien, die sie vor dem Entfernen oder Unkenntlichmachen fotografiert hat. Zudem organisiert sie Workshops für Schüler.  In Göttingen war sie mit ihrer Ausstellung 2015 in der Waldorfschule zu Gast und zeigte den Schülern, wie man gegen den Hass auf Wänden und Ähnlichem vorgehen kann.  Die Frau, die sich selbst schon mal als „Politputze“ bezeichnet, hat dabei ein klares Ziel vor Augen: Etwas in den Köpfen zu verändern und Gewalt niemals mit Gewalt zu bekämpfen.

Preisverleihung in der Uni-Aula

 

Der mit 3000 Euro dotierte Preis der Stiftung Dr. Roland Röhl wird am Sonnabend, 5. März, in Göttingen in der Aula am Wilhelmsplatz verliehen. Die öffentliche Festveranstaltung beginnt um 11 Uhr. Im Anschluss gibt es einen Empfang der Stadt Göttingen im Alten Rathaus. Die Laudatio bei der Preisverleihung hält Thomas Gebauer, Geschäftsführer von Medico International.

Mit Ausschnitten vom Festival und vom aktuellen Theaterstück präsentieren sich die Preisträger. Mit Gesang und Gitarre begleiten Astrid Barth und Philipp Roemer die Veranstaltung. Der Göttinger Friedenspreis wird seit 1999 jährlich an Personen oder Gruppen verliehen. Die Stiftung Dr. Roland Röhl bittet um Spenden für den Stiftungszweck und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese abzugsfähig sind. Spendenkonto: Stiftung Dr. Roland Röhl, Kontonummer 104874011, Bankleitzahl 26050001; IBAN: DE24 2605 0001 0104 8740 11 bei der Sparkasse Göttingen. Verwendungszweck: Spende (oder Zustiftung). red

Quelle: Artikel im Göttinger Tageblatt am 04.03.2016 Link zum GT-Artikel vom 04.03.2016